Nathan Ceas in der Buchlounge Zehlendorf: "Der lange Weg"

Ein Wohnzimmer der Literatur – das ist die noch ganz junge Buchlounge Zehlendorf auf der Clayallee 343, die gerade in puncto Autorenlesungen ein außergewöhnlich großes Engagement beweist. Am Donnerstagabend war hier Nathan Ceas zu Gast, Mitglied des Freien Deutschen Autorenverbands Berlin und Autor von bisher drei Romanen.

(c) Buchlounge Zehlendorf


Auf den gemütlichen Sesseln und Sofas machten es sich gut zwanzig Zuhörer bequem – mit drei Ausnahmen alle weiblich –, an der Bar wurden Kaffee, Saft und Wein verkauft, und wer mochte, konnte vor Beginn der Lesung noch ein bisschen im breit gefächerten Sortiment der Buchhandlung schmökern.


 
„Der lange Weg“: Das ist die Flucht des zwölfjährigen Daniel von Kobylin zurück in die Berliner Heimat. Der Junge ist im April 1945 aus einem Germanisierungslager geflüchtet, denn der Krieg ist verloren und sein weiteres Schicksal noch ungewisser als zuvor.

Unterwegs begegnet er der deutlich älteren Kläre, die ebenfalls heim nach Berlin will. Die beiden legen den langen Weg gemeinsam zurück. Sie, die Tochter eines ranghohen SS-Mannes, und er, der Sohn eines jüdischen Physikers, haben nicht viel gemeinsam außer ihrem geografischen Ziel, aber gerade durch ihre Gegensätzlichkeit fühlen sie sich zueinander hingezogen.

Ihre Begegnung ist zugleich auch eine Klärung der Standpunkte, eine Besinnung auf eigene und fremde Werte, eine Reflektion über Verantwortung, Gewissen, Manipulation und gedankliche Freiheit.

   


Nathan Ceas scheint nicht aus seinem Roman zu lesen – er erzählt ihn. Mit sehr modulationsfähiger Stimme und wie beiläufig plaudernd schildert er die Flucht der beiden jungen Leute, die zu einem großen Teil eigene Erlebnisse des heute 83-Jährigen aufgreift, und ihre gegenseitige Annäherung, gelegentlich unterbrochen von kleinen aktuellen Einfügungen wie dem Hinweis auf den bevorstehenden Jahrestag der Reichskristallnacht oder das bedauerliche Verschwinden eines seinerzeit beliebten Cafés.

 
Die anschließende Gesprächsrunde, nonchalant moderiert von Buchlounge-Inhaberin Jana Prokop, ließ ein großes Interesse der Zuhörerinnen an historischen Zusammenhängen erkennen. Was waren diese Germanisierungslager? Wie viel erfahren Schüler heute über die Zeit des Nationalsozialismus? Welche Erfahrungen haben Nathan Ceas und insbesondere seine jüdischen Eltern damals gemacht? Diese und ähnliche Fragen wurden vom Autor erschöpfend und mithilfe amüsanter Anekdoten beantwortet.



Dass Kläre im Roman den Zwölfjährigen zu sexuellen Handlungen verführt, schien keine der fast ausschließlich weiblichen Zuhörerinnen zu beunruhigen, obwohl die junge Frau damit – zumindest nach heutiger Rechtssprechung – zweifellos eine Straftat begeht. Sehr viel anders hätte das wohl ausgesehen, wenn Ceas‘ Protagonisten umgekehrt ein junger Mann und ein zwölfjähriges Mädchen wären.

Nur zögerlich traten die Besucher der Lesung von Nathan Ceas den Heimweg an. Gerade an einem feuchtkalten Novemberabend kann man sich schließlich kaum einen schöneren Ort vorstellen als eine hell und freundlich eingerichtete, gut sortierte Buchhandlung, die noch dazu bequeme Sitzgelegenheiten aufweist. Aber Frau Prokop und ihr Team möchten die Nächte vielleicht trotzdem gerne woanders verbringen, so erstaunlich das auch sein mag.

Der Autor jedenfalls, bei dem man sich unweigerlich fragt, ob seine Altersangabe nicht auf einen Zahlendreher zurückzuführen ist, kehrte mit ein paar Kollegen noch in die nächstgelegene Gaststätte ein und feierte zu Recht den gelungenen Abend.

Übrigens: Am 16. November ist in der Buchlounge Zehlendorf der FDA-Literaturpreisträger Alain Claude Sulzer zu Gast und stellt seinen neuen Roman „Postskriptum“ vor – nicht verpassen!


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