Philipp Tingler: Schöne Seelen


Das ist die Handlung bis Seite 50: eine Frau stirbt und wird beerdigt.

Allerdings wurden bis hierhin 32 (!) Personen eingeführt und zahlreiche weitere namentlich erwähnt. Wer trotzdem weiterlesen möchte, braucht gute Nerven, denn auch wenn Tinglers Roman durchaus seine Qualitäten hat, so liegen sie doch eher im Verborgenen.

Sie blitzen durch in witzigen Dialogen: „Du weißt, was passiert, wenn man Dinge systematisch unterdrückt und verdrängt …“ – „Ja. Sie verschwinden.“

Sie schimmern aus gelegentlichen Bonmots hervor: „Ich weiß, dass sie mich auf ihre Art liebt. Aber ihre Art passt mir irgendwie nicht.“

Und ab und zu verbergen sie sich auch in Sätzen mit erstaunlichem Tiefgang: „Denn nicht das Glück ist der Sinn der Liebe oder des Lebens überhaupt, das denken nur die Glücksdeppen oder höchstens noch die Gesundheitsapostel, denen jeder Bezug zur Transzendenz verlustig gegangen und für die deshalb das Leben selbst das höchste Gut ist.“

Doch das sind vereinzelte Perlen in einem Ozean voller Miesmuscheln. Denn leider ist Tinglers Witz – ganz unverkennbar orientiert am unerreichten Esprit eines Oscar Wilde – in den meisten Fällen bemüht, die Ironie viel zu dick aufgetragen. Tinglers Sprache, mal salopp, mal von nahezu kleistscher Geschraubtheit, wird selten dem Gegenstand gerecht.

Lassen wir die Handlung am besten außen vor, denn es gibt ja kaum eine. Die originelle Grundidee des Romans – ein Mann macht anstelle seines besten Freundes eine Therapie, damit dieser mehr Zeit für sein Hobby hat – gäbe viel mehr her, als dieser Roman bietet. Denn abgesehen von einer slapstickartigen Verwicklung und einigen mäßig lustigen Dialogen zwischen dem Protagonisten und dem Psychologen verpufft sie wirkungslos.

In erster Linie geht es Tingler um Gesellschaftskritik, und zu diesem Zweck nimmt er die obersten Tausend der Stadt Zürich aufs Korn: ihren Müßiggang, ihre Intrigen, ihre Luxusproblemchen zwischen Facelifting und Erbschleicherei, ihre geistige und emotionale Beschränktheit im Kontrast zu ihren ziemlich unbeschränkten finanziellen Verhältnissen. Fraglich ist, ob wir dafür wirklich alle tausend namentlich und mitsamt ihren hässlichsten Eigenheiten persönlich kennenlernen müssen, denn die meisten Nebenfiguren haben keine erkennbare Funktion.  


Man kann sich Schöne Seelen, reduziert auf vielleicht sieben handelnde Personen, ganz gut als Boulevard-Komödie vorstellen, einschließlich der zu erwartenden Lacher bei platten Gags und ulkigen Grimassen der Schauspieler. Das hätte im Vergleich zum Roman darüber hinaus den entscheidenden Vorteil, dass die betäubende Menge an Orthografiefehlern und die recht lieblose Aufmachung des Buches nicht so stören würden.

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