Martin Schult: Flokati oder mein Sommer mit Schmidt



Paul ist fast dreizehn und lebt mit seinen Eltern in Frankfurt am Main. Im Sommer des Jahres 1974 sorgt die Fußball-Weltmeisterschaft überall für Aufregung, aber Paul interessiert sich kaum für Sport, sondern eher für Zettels Traum, jenes Opus magnus von Arno Schmidt, in dem sein Vater mit Vergnügen liest. Einer spontanen Idee folgend hat Paul im Deutschunterricht versprochen, über die Sommerferien eine Zusammenfassung davon zu schreiben – und nun muss er allerhand Tricks und Finten anwenden, um des Buches überhaupt habhaft zu werden, denn es liegt immer ganz oben auf dem Regal. 

Außerdem sorgt er sich um die nette alte Nachbarin Frau Schellack, die ihre Handtasche verloren hat und die er schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen hat.

Viele alltägliche kleine Ereignisse bestimmen Pauls Leben, und die sind wirklich amüsant und mit viel zeitgeschichtlicher Detailfreudigkeit erzählt: Die pubertierende ältere Schwester sammelt den Bravo-Starschnitt von David Cassidy, der RAF-Sympathisant Bruder Kolja spricht nur in Kleinschreibung (wegen der Gleichberechtigung), Onkel Rolf geht allen mit seinen infantilen Scherzen auf die Nerven, und sonntags muss die ganze Familie im Wohnzimmer den Flokati kämmen.

Einige Passagen sind in Form von Briefen erzählt, die Paul aus nicht weiter genannten Gründen ausgerechnet an seine Deutschlehrerin schreibt, und andere werden einfach als Rückblenden wiedergegeben, allerdings ebenfalls vom Ich-Erzähler Paul. Es gibt eine Reihe von wirklich originellen, amüsanten und unterhaltsamen Szenen, die den bundesdeutschen Alltag der siebziger Jahre gelungen aufs Korn nehmen.

Was mir beim Lesen gelegentlich fehlte, war jedoch der Spannungsbogen, jener wirklich massive Konflikt, der die Geschichte trägt und vorantreibt. Denn weder Pauls Verlangen, das Buch von Arno Schmidt zu lesen, noch seine Schuldgefühle in Bezug auf Frau Schellack sind bis ins Letzte nachvollziehbar. Besonders die Angst des Zwölfjährigen, wegen eines vermeintlichen Verbrechens ins Gefängnis zu müssen, wirkt angesichts seiner ansonsten durchaus altersgerechten geistigen Entwicklung etwas aufgesetzt.


Flokati oder Mein Sommer mit Schmidt ist eine empfehlenswerte Lektüre für alle, die in den Siebzigern jung waren. Sie werden sich in vielen Details wiederfinden und über manches schmunzeln, weil sie es so oder ähnlich erlebt haben. Die eingebettete Coming-of-Age-Geschichte kommt dabei stellenweise etwas zu kurz, hinterlässt aber gleichwohl ihre Spuren und bringt uns Paul und seine skurrile Welt näher.

Martin Schult: Flokati oder Mein Sommer mit Schmidt, Ullstein Verlag, 224 S., 18 Euro 

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