Der Berliner Opernpreis,
ausgelobt von der Neuköllner Oper und unterstützt vom Energieunternehmen GASAG,
hat die Zielsetzung, junges Musiktheater zu fördern, und stand in diesem Jahr
unter der Prämisse „Game over # Go on“ – einer Aufgabenstellung, die viel
gestalterischen Freiraum lässt.
Tatsächlich sind die
beiden preisgekrönten Beiträge so unterschiedlich, wie man es sich nur
vorstellen kann, haben das Thema jedoch gleichermaßen gekonnt umgesetzt. Im Rahmen der
Preisverleihung wurden „Post-Nuclear Love“ des deutsch-israelischen Teams
Halpern/Bungardten/Kerschkewicz und „Wesendonck-Lieder heute“ des
niederländischen Künstlerkollektivs Het Geluid uraufgeführt.
Das Jüdische Museum bot in
seinem Glashof genügend Platz für die rund 700 Gäste. Wer den gründlichen Sicherheitscheck im Eingangsbereich bestanden hatte, wurde schon
vor der Veranstaltung mit Sekt und Sushi-Häppchen belohnt.
„Post Nuclear Love“ wird
von den Künstlern recht treffend als „apokalyptische Musikkomödie“ bezeichnet.
Dargestellt ist eine postatomare Dystopie, in der Adam und Eva, zwei
Retortenmenschen, den Fortbestand der ausgelöschten Art sichern sollen.
Fünfzehn Jahre wurden sie getrennt voneinander mit Daten, Wissen und Eiern
gefüttert, nun führen die Android-Wissenschaftler sie erstmals zusammen.
Die Story ist womöglich
ein bisschen dünn, die Umsetzung dafür umso gelungener. Drei
Cyborg-Hilfswissenschaftler in henkelbewehrten Silberanzügen kommentieren das
Geschehen mit großartigen Singstimmen ähnlich wie ein klassischer griechischer
Chor, ihr Chef fungiert als Moderator, Erzähler und Leiter des Experiments, die
beiden Retortenkinder in ihren sterilen Kachelräumen steuern mit ebenfalls
wunderbaren Stimmen musikalische Akzente bei.
Es kommen Videoprojektionen, Beatboxing
und ein flimmernder Fernsehbildschirm zum Einsatz, witzige Details in Text,
Handlung und Requisite sorgen für Lacher im Publikum: postmoderne Unterhaltung
mit apokalyptischem Charme.
Besonders hervorzuheben sind
die Leistungen der Kostümbildnerin Felina Levits, für deren Fantasie die Fotos sprechen, und die des Schauspielers Alexander Merbeth, dem speziell
in der Schlussszene mit minimaler Mimik maximaler Ausdruck gelungen ist.
Selten
habe ich in einem Blick, einem Senken des Kopfes so viel Verwirrung, Schmerz
und tapfer ertragene Enttäuschung gesehen. Tiefe Verbeugung vor
dieser Leistung!
Die „Wesendonck-Lieder
heute“ hatten es vielleicht ein bisschen schwer nach diesem Einstieg, denn ihr
künstlerischer Ansatz ist ein ganz anderer und vor allem ein minimalistischer.
Eine junge Frau mit Smartphone steht da auf der Bühne, ganz verloren, und sie
beginnt zu erzählen. Sie erwähnt eine Beerdigung, kommt auf ihre Kindheit zu
sprechen, auf das Computerspiel, das sie damals so liebte.
Und dann erzählt sie
von der Begegnung mit ihm, der dieses Spiel ebenfalls mochte, und von ihrem
weltumspannenden Chatverlauf: Er in Tokio, sie in Rotterdam, er mit seinen
Freunden unterwegs, sie auf dem Weg zu einem Meeting, und doch sind sie immer zu
zweit, teilen das Leben des anderen, schreiben zärtliche Gute-Nacht-Grüße,
vertrauen einander Ängste, Träume und Wünsche an.
Seine letzte Nachricht:
Er wolle in den Bergen klettern gehen.
Sie bleibt allein zurück,
das Handy schweigt, das Echo ist verhallt, der Bildschirm bleibt leer, die
Liebe unerfüllt, sie sendet Nachrichten, die nie durch ein blaues Häkchen als
gelesen markiert werden.
Ihr Schmerz ist spürbar, gerade weil sie ihn so
unpathetisch erzählt, mit dieser sympathischen, fast ein bisschen naiven
Offenheit. Der Sarg: bunte Blumen im Eisblock, das mitten in der Blüte
Erstarrte, ewige Schönheit ohne Leben, ohne Bewegung, ohne Resonanz,
ohne Zukunft.
Die junge Frau liest aus ihrem Chatverlauf vor, die zeitgenössische Variante der Trauerrede.
Das alles wird begleitet
von herzzerreißend traurigem Gesang mit Klavierbegleitung, doch die Musiker interagieren
nicht mit der jungen Trauernden, sie sind die anderen, haben vielleicht eigene
Verluste zu beklagen, leiden unter eigenem Kummer. Sie spenden keinen Trost,
sondern sie spiegeln und akzentuieren den Schmerz.
Eine Aufführung mit sehr
viel Tiefgang, die frei ist von Kitsch und Sentimentalität und gerade deshalb unter
die Haut geht. Bewundernswert vor allem die Leistung der holländischen
Schauspielerin Laila Claessen, die dieser trauernden jungen Frau so viel Authentizität
verleiht – und das mit einem komplexen, sehr umfangreichen Text in einer
Fremdsprache.
Die fünfköpfige Jury des
Berliner Opernpreises brauchte nicht sehr lange für die Beratung und trat
schließlich mit der absehbaren Entscheidung auf die Bühne: erster Preis und
4.000 Euro für „Post Nuclear Love“, zweiter Preis und 2.500 Euro für „Wesendonck-Lieder
heute“.
Beiden Künstlergruppen kann
man nur den verdienten Erfolg wünschen, sie haben großartige Leistungen erbracht
und den Abend hochgradig professionell und beeindruckend gestaltet.
Beim anschließenden
Büfett im „Garten der Diaspora“ auf der gegenüberliegenden Straßenseite gab es
bei experimentellen Köstlichkeiten wie schwarz gefärbter Polenta oder Gemüse im
Tempura-Teig jedenfalls genügend Gesprächsstoff.
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