Neuntöter ist einer der
spannendsten Thriller, die ich in diesem Jahr gelesen habe – die abgründige
Ermittlerin Emma Carow, die rituell inszenierten Morde, die sehr authentisch dargestellte
Polizeiarbeit, die Echtzeit-Erzählweise und natürlich der wunderbar liebevoll
in Szene gesetzte Schauplatz Berlin haben mich gefesselt und fasziniert.
Als ich daher zufällig
entdeckte, dass Ule Hansen – aka Astrid Ule und Eric T. Hansen, also die beiden
Autoren des Romans – bei den Berliner Wühlmäusen auftreten würden, war meine
Freude groß. Übertroffen wurde sie nur von meiner Enttäuschung beim Blick in
den Terminkalender. An diesem Samstag war ich nämlich als Dozent in der
Autorenschule Schreibhain eingeteilt.
Wenige Tage später schickte
Tanja Steinlechner vom Schreibhain eine Rundmail: Wir hätten die Möglichkeit,
zu einem vergünstigten Preis an der Lesung von Ule Hansen teilzunehmen, dürften
dafür ausnahmsweise vorzeitig vom Unterricht aufbrechen und könnten den Autoren
im Anschluss an die Veranstaltung sogar noch einige Frage stellen … Gemeinsam
mit sechs Autorenschüler(innen) aus verschiedenen Ausbildungsjahrgängen nahm
ich die Chance nur zu gerne wahr.
Bei keiner der nicht mehr
zu zählenden Autorenlesungen, die ich besucht habe, wurde ich je mit einem
Whisky verwöhnt (es sei denn, ich hatte selbst welchen dabei). Astrid Ule und
Eric Hansen jedoch wollten uns mit allen Sinnen an ihrem Schreiballtag teilhaben
lassen, und wenn wir ihren Worten glauben dürfen, steht bei ihnen die
Bourbon-Flasche unmittelbar neben dem Computer. So prosteten Autoren und
Zuhörer einander also als Erstes zu: „Auf den Tod und auf das Leben!“
In den folgenden
anderthalb Stunden hörten wir nicht nur mehrere Kapitel aus Neuntöter, sondern
erfuhren auch viel über seinen Entstehungsprozess.
Eigentlich wollten die
beiden Autoren, die auch jenseits des Schreibtischs ein Paar sind, einen
Frauenroman schreiben, doch der kam nie über das erste Kapitel hinaus. Astrid
schlug vor, einen Krimi daraus zu machen, wozu Eric erst nach langem innerem
Ringen und mehreren Joggingrunden durch den Park bereit war.
Die Handlung wurde dann
überwiegend von Emma bestimmt, jener schrägen, beziehungsgestörten Ermittlerin,
die in Neuntöter mit der Aufklärung der unheimlichen Mordserie beauftragt wird
und deren starke Persönlichkeit alle weiteren Aspekte des Romans beeinflusste.
Wie hat man sich nun die
Zusammenarbeit an einem Manuskript konkret vorzustellen? Ganz einfach: „Ihr
müsst euch von morgens bis abends nur anschreien“, empfiehlt Eric. Und fügt
hinzu: „Die Nachbarn wissen immer, wenn wir ein neues Buch schreiben.“ Denn
wenn der eine das neuste Kapitel des anderen überarbeitet, seine liebsten
Szenen erbarmungslos wegstreicht und ganz andere Vorstellungen vom
Handlungsverlauf hat, führt das zu geräuschvollen Turbulenzen.
Ein Beispiel für so eine
Unstimmigkeit lieferten Ule Hansen gleich mit. So konnten sie sich lange Zeit
nicht einigen, ob Emmas Vergewaltiger – der Mann, der sie vor Jahren
traumatisiert hat und immer noch bedroht – ein Bekannter oder ein Wildfremder
sein sollte. Erst ganz am Ende des Schaffensprozesses konnte Astrid sich mit
ihrer bevorzugten Variante durchsetzen. Eine spontane Abstimmung des Publikums
gab ihr Recht: Ein bekannter Täter verstärkt den Horror. „Wenn man zusammen
schreibt, gibt es keine Kompromisse“, erläutert Eric. Das Bessere muss sich
durchsetzen.
Das Ehepaar entwickelt
viele charmante Theorien, nicht nur über das schlimmstmögliche
Vergewaltigungsszenario, sondern auch zu Fragen wie der nach dem wachsenden
Publikumsinteresse an Krimis, der optimalen Anmachmethode für Männer oder den
Auswirkungen des Satzbaus auf die Tiefgründigkeit der Literatur. Man merkt,
dass die beiden gründlich recherchieren und sich intensiv mit ihren Figuren und
Plots auseinandersetzen, ohne dabei auf Spaß und Augenzwinkern zu verzichten.
Ule Hansen: Neuntöter, Heyne Verlag, 496 Seiten, 16,99 Euro
Hallo Jordan, toller Bericht über den spannenden Krimi-Abend!
AntwortenLöschenDie Krimilesung des Autorenduos war super. Ich werde Neuntöter auf jeden Fall lesen, obwohl Krimis nicht zu meinen favorisierten Büchern zählen. Von den vielen Details, die die beiden über das gemeinsame Schreiben verraten haben, war ich so begeistert, dass ich darüber auch einen Beitrag geschrieben habe.
Viele Grüße, Ricarda