Die deutsche Literaturlandschaft hat einen wachsenden Drang zur
Zerstückelung. Damit meine ich nicht blutrünstige Thriller, in denen die Opfer
scheibchenweise tranchiert werden – zumal die nach wie vor meist aus den USA
kommen –, sondern die Aufteilung in Genres, Untergenres und Unter-Untergenres.
Jedes Buchmanuskript, das deutsche Autoren am Markt platzieren und
veröffentlicht sehen wollen, muss sich so kleinteilig wie möglich kategorisieren
lassen. „Roman“ genügt nicht − wer soll denn so was kaufen? Wir kaufen ja
schließlich auch keinen Saft. Wir wollen Ananas-Guave-Nektar,
Johannisbeer-Rhabarber-Schorle, Papaya-Direktsaft oder
Minze-Spinat-Mango-Smoothie, kalorienarm gesüßt, ohne Konservierungsstoffe,
frisch gepresst, aus biologischem Anbau, in der Glasflasche, in PET mit und
ohne Pfand oder im Tetrapak.
Im Lebensmittelhandel ist die Kennzeichnungspflicht längst Alltag, im
Buchhandel beginnt sie sich gerade durchzusetzen. Krimi? Was heißt denn hier
Krimi? Schweden, Ostsee oder Eifel? Blutig, literarisch oder satirisch?
Kapitalverbrechen oder Kleinkriminalität? Frauen-, Männer-, Jugend- oder
Kinderkrimi? Alternder einsamer Ermittlerwolf, junges, durchgestyltes Duo oder
zehnköpfiges Spezialistenteam? Oder wird der Fall von Katzen, Schafen oder
Heuschrecken gelöst?
Die Verlage haben zu kämpfen. Sie sehen sich einer unkontrollierbaren Welle
von Selfpublishern, kostenlosen Online-Plattformen, Audioformaten und
Push-Story-Anbietern für das Smartphone gegenüber, und denen müssen sie etwas
entgegensetzen, um ihr Geschäftsmodell – den guten alten Verkauf von Büchern –
in die Zukunft tragen zu können und weiterhin saftige Gewinne zu erzielen.
Der Endverbraucher will genau wissen, was drin ist, ehe er kauft. Auch das
Buch ist ein Konsumgut, und der Kunde möchte sich gründlich informieren, ob es
in seinen Lifestyle passt oder unerwünschte Zutaten enthält, auf die er
allergisch reagiert, zum Beispiel männliche Protagonisten, Rückblenden oder
Kapitel von mehr als zwanzig Seiten. Andere Zutaten dagegen sind besonders
begehrt, darunter Gestaltwandler, Morde vor der eigenen Haustür, raffinierte
Mädchen, dominante Männer (sofern sie sehr, sehr gut aussehen), antriebsarme
Ich-Erzähler, historische Landschaften und Berghain-Partys.
Die Verlage haben das längst verstanden. Nur die Autoren hinken da ein
bisschen hinterher. Die glauben immer noch, Literatur folge denselben Gesetzen
wie die Saftherstellung vor dreihundert Jahren: Sie pflanzen den Kern ihrer
Idee ein, verfolgen über Jahre hinweg ihr Wachsen und Gedeihen, pflegen ihr
kleines Bäumchen, düngen und wässern, beschneiden seine Äste, wenn es zu wild
wuchert, und trägt es endlich Früchte, dann wählen sie die schönsten davon aus,
pflücken sie, legen sie behutsam einzeln in einen gepolsterten Korb, tragen sie
nach Hause, waschen, schälen und entkernen sie und pressen sie sorgfältig zu
einem süßen, dickflüssigen, köstlichen Getränk.
Liebe Autoren, ihr habt Recht. So entsteht Literatur.
Aber wollt ihr nun Romane schreiben oder Bücher verkaufen? Da müsst ihr
euch schon entscheiden!
Schöne Bilder und ein interessanter Beitrag. Für mich schließt sich ein guter Roman und eine präzise Einteilung/Ausrichtung aber nicht aus. Die Frage ist wohl eher, ob wir unser Manuskript auf den Markt zuschneiden oder später einem (oder mehreren) Unter-Unter-Genre zuordnen...
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